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Rede zur Eröffnung der Ausstellung Elisabeth Busch-Holitschke –
Textile Objekte in der Galerie Dielämmer am 7. September 2018

 

Hübsch hat sie sich hergerichtet: die Lippen geschminkt, die Augen nachgezogen, die Augenbrauen ebenso, die Haare schön gemacht – so kann sie sich sehen lassen. Sehen lassen? Was sehen wir denn wirklich von ihr? Schauen wir einmal weiter. Ihre Nachbarin: etwas schlichter vielleicht, nicht gar so aufgehübscht, ein wenig verzogen ihre Lippen, die Augen schmal. Oder die Dritte im Bunde. Die schießt ja nun wirklich den Vogel ab: Mit dem steifen Kragen, dem hochnäsig hochgereckten Kinn und einem kleinen geschlossenen Mund sowie Augen, die werten, abwerten, hat sie sich, so scheint es, förmlich gewappnet. Aber wogegen?
Die Köpfe von Elisabeth Busch-Holitschke zeigen sich. Und eben doch nicht. Denn was sie zeigen, ist nur der äußere Schein. Und der besteht aus dem, was viele Frauen auf den ersten Blick von sich preisgeben wollen: rote Lippen, hübsche Haar, steifer Kragen.

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Das alles erscheint auf einer Oberfläche aus zusammengenähten Flicken und herabhängenden Fäden. Es wirkt, als sollten Augen, Lippen, Haar von dieser Oberfläche ablenken. Und damit kommen wir der Sache schon näher. Die Oberfläche gehört – da es mehr nun für uns als Gegenüber nicht gibt für unsere Überlegungen zu den Persönlichkeiten hinter den Köpfen  – genauer untersucht.
Die Flicken nämlich sind alte Wäschestücke mit viel Geschichte und Erinnerungen, die Elisabeth Busch-Holitschke ihnen entlockt. Alt und gebraucht, aber schön. Sie halten noch. Und halten zusammen: ein Gesicht, eine Geschichte, eine Persönlichkeit. Bei allen Verletzungen, Narben und Nähten. Wie ein Schleier des lang Vergangenen hängen die Nähfäden über dem Gesicht, schützen weniger als sie die Verletzlichkeit betonen.  Verletzlichkeit und all die Unzulänglichkeiten, mit denen Frau (und vielleicht auch Mann) sich auseinandersetzen und versöhnen können.
Köpfe. Kein Körper. Zumindest nicht hier. Die tauchen losgelöst von den Köpfen, aber ganz dicht nahebei, auf. Oder besser gesagt: es tauchen die Ahnungen von Körpern auf. In der Bearbeitung weißer spitzenbesetzter Nachtkleider aus einem vergangenen Jahrhundert kehrt Busch-Holitschke das Innere nach außen, präsentiert das eigentlich schamhaft Versteckte offen für alle Blicke der Öffentlichkeit. Brüste, schwere, kleine, hängende, Brüste, deren Brustwarzen mit gehäkelter Spitze bewehrt sind, liegen angenäht auf der Außenseite des züchtigen Hemdes. Die Vagina, das Verborgenste der weiblichen Geschlechtsorgane, tritt in den Vordergrund und ist ebenfalls kunstreich verziert. So hängen die Nachthemden an einem Bügel. Assoziieren den Körper, den weiblichen natürlich. Allerdings einen, der ausschließlich auf die primären und sekundären Geschlechtsorgane reduziert ist.
Der Blick auf das Außen und das Innen, das Sichtbare und das Unsichtbare – das sind prinzipielle Herausforderungen, um die sich künstlerisches Schaffen drehen. Einen ungewöhnlichen „Bildträger“ für ihre Arbeiten mit dem Faden findet Elisabeth Busch-Holitschke mit den Röntgenbildern. Zu ihrer Zeit waren sie eine atemberaubende Errungenschaft, konnte man doch tatsächlich in den Menschen hineinblicken. Besser gesagt, in seine Anatomie. Nicht weiter als bis in sein Knochengerüst. Aber immerhin. Elisabeth Busch-Holitschke bearbeitet die Innenansichten des Körpers mit Nadel und Faden. Das Fotomechanische verbindet sich mit dem Händischen. Sie lässt sich von der Form des Geröntgen anregen, um ihren genähten Kommentar hinzuzufügen. Dem Knie wird eine kreisrunde Form gegenübergestellt, die an eine Blume erinnert; die Aufnahme eines Kiefers überlagert sie schwingenden Linien und hängenden Fäden; über die Wirbelsäule verwirbeln sich die Garnlinien.
Solche dermaßen unverhüllte Körper und intime Röntgenblicke in den Körper, gehören die nicht besser hinter verschlossene  Türen. Ins „Traute Heim“ vielleicht? Davon hat Busch-Holitschke gleich Dutzendweise genäht. Stereotyp, gleichförmig und gleichfarbig, Typ Reiheneinfamilienhaus, vier Wände, ein Boden und ein Giebeldach. Allerdings das alles ohne Fenster, Türen und individuelle Gestaltung. Jedes Haus mehr oder weniger prall gefüllt mit Füllwatte. Nun liegen sie achtlos in der Ecke. Ist die Idylle am Ende? Ist sie als Idee überholt? Das Leben im Einfamilienhaus als  Inbegriff des deutschen Etabliert-Seins wird in Frage und auf den Kopf gestellt. Was sich angesichts der Flüchtlingsströme auf der ganzen Welt förmlich aufdrängt. Wie kann man sich angesichts der täglich zu sehenden Bilder von heimatlosen Menschen noch guten Gewissens in seiner Idylle aufhalten, ohne sie in Frage zu stellen. Ohne uns die Frage zu stellen, wie wir alternativ leben können und sollen. Auf welche Weise wir unser „Trautes Heim“ öffnen und teilen können.
Überhaupt ist es doch so, dass Elisabeth Busch-Holitschke mit ihren genähten Objekten aus erinnerungsträchtigen Stoffen Fragen aufwirft, Festverwurzeltes anzweifelt und Haltungen und Traditionen konterkariert. Ein Nachthemd wird zum Akt. Wäschestücke zum Kopf, Leinen zum verschlossenen trauten Heim, eine gedeckte Tafel zur „Hängenden Tafel“ – in der Schwebe gehalten, seiner Wurzeln regelrecht  beraubt.
Eine Kaffeetafel ist ähnlich wie das Reiheneinfamilienhaus Zeichen für Wohlstand, Luxus mit dem guten Geschirr und dem guten Besteck. Erinnerung an schöne Essenseinladungen und Geselligkeiten, amüsant verbrachte Abende. Ist ein Symbol für Tradition und Familienzusammenhalt. Einerseits. Andererseits vielleicht auch für die einen und anderen die Erinnerung an Zwänge und Regeln („Kinder bei Tisch, stumm wie ein Fisch“, „Sitz gerade“, „Schmatz nicht“). Elisabeth Busch-Holitschkes „Hängende Tafel“ zerlegt dieses Symbol bürgerlicher Lebensweise. An ihrer „hängenden Tafel“ kann ja auch niemand mehr Platz nehmen. Sie stellt einen Schwebezustand dar, in dem die Gedanken und Erinnerungen wabern.
Erinnerung ist ein wichtiger Schlüsselbegriff zum Verständnis der Objekte von Elisabeth Busch-Holitschke. Aus dem Nachlassfundus ihrer Eltern bewahrt sie vieles auf, was nach und nach zum Einsatz kommt, als wäre jetzt die Zeit reif. Mutters Nähwerkzeuge und die Garnrollen aus Vaters Polsterei-Werkstatt finden Eingang in ihr Werk. Spielerisch setzt Elisabeth Busch-Holitschke Garnrollen als Sockel ein, setzt auf Zweige – der Natur ist eine wichtige Rolle in ihrer künstlerischen Arbeit zugewiesen – Spulen, Nähgarn, Einfädler, Fingerhüte, Sicherheitsnadeln. Wie ein Sicherheitsnetz verzweigter Lebensläufe und Lebensfäden, kreativer beruflicher Tätigkeiten und Kindheitserinnerungen breiten sich die spindeldürren Skulpturen aus – dem neuronalen Netzwerk unseres Gehirns auf rätselhafte Weise verwandt.

Elisabeth Busch-Holitschkes genähte Skulpturen und Objekte sind leicht, ohne oberflächlich zu sein, sie kommen harmlos daher und werfen doch so viele Fragen auf. Lassen Sie sich befragen!

©Sigrid Blomen-Radermacher
Es gilt das gesprochene Wort.

Von der Abstraktion der Gegenständlichkeit-
Neue Arbeiten von Elisabeth Busch-Holitschke

Wir meinen zunächst wohl bekannte Gegenstände zu entdecken: Harken und Schüppen, Eimer und Besen, Schaufeln, Sensen, Fliegenklatschen und Schubkarren. In unseren Köpfen entstehen ländliche Assoziationen, fernab von Technik und reizüberflutenden Großstadteindrücken, man denkt an Gartenarbeit oder solche Aufgaben, die notwendig sind, um das Haus in Ordnung zu halten. Obwohl sie auf den ersten Blick gegenständlich wirken, wird gerade die Funktionalität die - ser vermeintlichen Stücke schnell zum hinterfragten Moment.

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Die neuen Arbeiten von Elisabeth Busch-Holitschke sind textile Arbeiten.
So irritiert das zweite Hinsehen: Die Gegenstände sind weich; aus Stoff und Watte genäht. Die Fäden an den Nahtenden hängen lang herab. Die „Werkzeuge“ können nicht für den Zweck, den ihre Form vorgibt, benutzt werden. Durch die verfremdete Materialität sind sie nutzlos geworden. Auch die blütenweiße Farbe der Stoffe, aus denen sie genäht wurden, widerspricht geradezu ihrer Aufgabe in dieser Welt, wo sie Erde urbar machen, vom Schmutz befreien oder von Fliegenplagen erlösen sollen. Die Werkzeuge werden gewissermaßen neutralisiert für den neuen Blick des Betrachters. Der scheinbare Mangel auf der einen Seite, schafft aber auf der anderen Seite den besonderen Reiz. Wie wir es bereits aus den Werken wie etwa denen von Claes Oldenburg kennen, werden wir als Betrachter eingeladen, einmal einen ganz neuen Blick zu wagen. Einen Blick, der nicht gleich auf den Gewinn gelenkt ist, den man mit einem solchen Gegenstand erzielen kann, sondern der sich mit ihm selbst beschäftigt; der uns seine Form bewusst vor Augen führt und der uns auf diese Weise sensibilisiert für das Schöne, Leichte und Witzige, aber auch für das Skurrile, Absurde und vielleicht Bedrohliche dieser Formen; und jene werden uns auch deshalb bewusst, weil die Künstlerin sie uns in reinem Naturweiß, der Farbe der Unschuld, der Unbeflecktheit und der Neutralität präsentiert. Wir werden empfänglich für die zeitlose Ästhetik der Linien, Ecken und Kanten und ebenso für die weichen Rundungen. Dabei wird der Entstehungsprozess nicht verschwiegen. Die Nähte der Füllstoff, der aus diesen quillt und die langen Fäden an den Enden werden nicht versteckt wie die Schnittmuster für die Werke, die in das Gesamtkonvolut integriert werden. Auf diese Weise wird die fremde Materialität einmal mehr betont.

Einige Gegenstände scheinen uns besonders vertraut. Denn Elisabeth Busch-Holitschke hat neben dem naturweißen Nesselstoff, Hand gestickte Tischdecken aus dem Hausstand der Eltern und Großeltern verarbeitet. Solche, die den älteren noch vertraut sind als Sonntagstischdecken, an denen man sich ordentlich zu benehmen hatte und nicht kleckern durfte, die aber den Mahlzeiten andererseits einen besonderen Wert verliehen und das Sonntagsessen zum wichtigsten Versammlungsgrund für die ganze Familie werden ließ.
Es gab ein aufwändiger gekochtes Essen als an den Wochentagen oder einen selbst gebackenen Kuchen. Mahlzeiten also, die für viele junge Menschen in Zeiten von Convenience und Fastfood heute lange nicht mehr selbstverständlich sind.

 

Damit werden die Arbeiten, die aus den Tischdecken gefertigt sind,
im Gegensatz zu jenen Neutralen aus Nesselstoff mit einer weiteren
Bedeutungsebene aufgeladen. Mit der heimischen Idylle, mit der guten
alten Zeit und ebenjenen Schattenseiten, die ebenso dazu gehörten.
Dabei lenken die Muster und Farben der ehemaligen Tischdecken die Assoziation des Betrachters. Die gestickten Tannenzweige etwa, die sich fast wie eine Bordüre am inneren Rand der genähten Schubkarre aneinander reihen, erinnern mit der Form im Innern an einen Sarg,
die bunten Blumen auf dem „Eimer“ lassen an duftig frisch geputzte
und mit Blumen geschmückte Räume denken. Was dem einen Erinnerungen
an leuchtende Augen und an vergangene schöne Feste im Kreise der Familie sind, sind dem anderen vielleicht schreckliche Gedanken an
unbequeme Sonntagskleider, steifes Sitzen und Langeweile, oder an schwere Zeiten in Armut, Kälte und mit harter Arbeit. Hier wird der Betrachter eingeladen, seine Gedanken zum Thema selbst zu formulieren.
Elisabeth Busch-Holitschke zerschneidet diese Symbole häuslicher Integrität für ihre Kunstwerke und stellt damit die bürgerliche Idylle in Frage. Das, was unseren Großmüttern und Müttern noch als
Wichtiger Teil der Aussteuer galt, hat heute vielfach seinen Wert verloren. Das Leben ist Wandel. Dinge die einst wichtig und wertvoll waren, werden jetzt durch andere ersetzt.
Stoffe Schnittmuster und Füllwatte sind der Künstlerin aus Kindertagen wohl bekannt. Mit einer Schneiderin als Mutter und in der Polsterei des Vaters, die ihr oft als Spielplatz diente, aufgewachsen, sind Materialien und Arbeitsprozesse ihr seit langem vertraut. Und auch in ihrem eigenen künstlerischen Werk sind die textilen Arbeiten ein einsichtiger Schritt. Neben ihren Arbeiten in Ton, die während des Entstehungsprozesses ja ebenfalls dreidimensional, weich und formbar waren, begann sie mit der Goldtafel eine erste Annäherung an verfremdete Alltagsgegenstände in Verbindung mit Stoffen. Es folgten die genähten Stühle und die großen genähten Porträts, wo bereits das Thema der lang herabfallenden Endfäden zu finden ist. Immer wieder wird daneben die Natur Teil ihrer Werke. So verarbeitete sie etwa Gras und Stroh in ihren Tonarbeiten oder sie setzte sich mit dem Thema Wege in der Landschaft auseinander.
Mit den neuen Arbeiten hat Elisabeth Busch-Holitschke sich einmal mehr positioniert ohne in Widerspruch zu den früheren Werken zu treten. Es ist vielmehr die folgerichtige Entwicklung einer Künstlerin, die sich mit der Vielschichtigkeit der alltäglichen Dinge mehrdimensional auseinandersetzt.

Dr. Dagmar Täube
Kunsthistorikerin

Porträts genäht Baumwolle
verschiedene Größen
2009 – 2012

„... die Porträts hängen wie Wimpel im Raum, die gezeichnete Idealform der geplanten weich fließenden Kontur wird durch den Maschinenstich durchbrochen nahezu zerstückelt. Die Maschine erschließt sich ihre eigenen Wege, es wird riskiert, dass es anders wird als geplant und die Situation niemals ganz zu kontrollieren ist. Der belassene Nähfaden kennzeichnet Anfang und Ende der genähten Linie und gibt dem Portrait einen eigenen Ausdruck ……“

(Jutta Saum Kunsthistorikerin)

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Elisabeth Busch-Holitschkes PORTRÄTS sind gewissermaßen Maschinenstichzeichnungen auf Nessel. Der Maschinenstich ersetzt die gezeichnete Linie, wodurch sich zuweilen eigene, unkontrollierbare Verläufe ergeben. Nessel als Bildträger ermöglicht die Hängung als Wimpel im Raum und das eröffnet eine ganz neue, unerwartete Dimension der Porträtzeichnung, weil sie beidseitig zu betrachten ist.
Zunächst erinnern ihre Exponate an ihrer Reduktion auf die Linie an die Frauenzeichnungen von Matisse oder die Kinderzeichnungen von Picasso. Aber die Porträts sind nicht wie die von Matisse oder Picasso Zeichnungen von bestimmten Menschen, vielmehr erscheinen sie wie Symbole für entsprechende Menschentypen. Und durch ihre belassenen Nähfäden geschieht Unerwartetes. Sie assoziieren Bewegung, Haare im Wind oder gar Tränen, betonen typische Charaktermerkmale. Sie erzählen von der Flüchtigkeit einer Begegnung, den Gesichtern in einer vorbeiziehenden Menschenmenge, werden zu Wunschbildern unserer Tagträume. Auch in diesen Werken zeigt sich die Fähigkeit von Elisabeth Busch-Holitschke trotz äußerster Reduktion auf das Wesentliche dennoch ihre Poesie ins Spiel zu bringen und so den weiteren Prozess im Kopf des Betrachters auszulösen.

(Anna Neumann Kunstpädagogin)

Von der Abstraktion der Gegenständlichkeit-
Neue Arbeiten von Elisabeth Busch-Holitschke

Wir meinen zunächst wohl bekannte Gegenstände zu entdecken: Harken und Schüppen, Eimer und Besen, Schaufeln, Sensen, Fliegenklatschen und Schubkarren. In unseren Köpfen entstehen ländliche Assoziationen, fernab von Technik und reizüberflutenden Großstadteindrücken, man denkt an Gartenarbeit oder solche Aufgaben, die notwendig sind, um das Haus in Ordnung zu halten. Obwohl sie auf den ersten Blick gegenständlich wirken, wird gerade die Funktionalität die - ser vermeintlichen Stücke schnell zum hinterfragten Moment.

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Die neuen Arbeiten von Elisabeth Busch-Holitschke sind textile Arbeiten.
So irritiert das zweite Hinsehen: Die Gegenstände sind weich; aus Stoff und Watte genäht. Die Fäden an den Nahtenden hängen lang herab. Die „Werkzeuge“ können nicht für den Zweck, den ihre Form vorgibt, benutzt werden. Durch die verfremdete Materialität sind sie nutzlos geworden. Auch die blütenweiße Farbe der Stoffe, aus denen sie genäht wurden, widerspricht geradezu ihrer Aufgabe in dieser Welt, wo sie Erde urbar machen, vom Schmutz befreien oder von Fliegenplagen erlösen sollen. Die Werkzeuge werden gewissermaßen neutralisiert für den neuen Blick des Betrachters. Der scheinbare Mangel auf der einen Seite, schafft aber auf der anderen Seite den besonderen Reiz. Wie wir es bereits aus den Werken wie etwa denen von Claes Oldenburg kennen, werden wir als Betrachter eingeladen, einmal einen ganz neuen Blick zu wagen. Einen Blick, der nicht gleich auf den Gewinn gelenkt ist, den man mit einem solchen Gegenstand erzielen kann, sondern der sich mit ihm selbst beschäftigt; der uns seine Form bewusst vor Augen führt und der uns auf diese Weise sensibilisiert für das Schöne, Leichte und Witzige, aber auch für das Skurrile, Absurde und vielleicht Bedrohliche dieser Formen; und jene werden uns auch deshalb bewusst, weil die Künstlerin sie uns in reinem Naturweiß, der Farbe der Unschuld, der Unbeflecktheit und der Neutralität präsentiert. Wir werden empfänglich für die zeitlose Ästhetik der Linien, Ecken und Kanten und ebenso für die weichen Rundungen. Dabei wird der Entstehungsprozess nicht verschwiegen. Die Nähte der Füllstoff, der aus diesen quillt und die langen Fäden an den Enden werden nicht versteckt wie die Schnittmuster für die Werke, die in das Gesamtkonvolut integriert werden. Auf diese Weise wird die fremde Materialität einmal mehr betont.

Einige Gegenstände scheinen uns besonders vertraut. Denn Elisabeth Busch-Holitschke hat neben dem naturweißen Nesselstoff, Hand gestickte Tischdecken aus dem Hausstand der Eltern und Großeltern verarbeitet. Solche, die den älteren noch vertraut sind als Sonntagstischdecken, an denen man sich ordentlich zu benehmen hatte und nicht kleckern durfte, die aber den Mahlzeiten andererseits einen besonderen Wert verliehen und das Sonntagsessen zum wichtigsten Versammlungsgrund für die ganze Familie werden ließ.
Es gab ein aufwändiger gekochtes Essen als an den Wochentagen oder einen selbst gebackenen Kuchen. Mahlzeiten also, die für viele junge Menschen in Zeiten von Convenience und Fastfood heute lange nicht mehr selbstverständlich sind.

 

Damit werden die Arbeiten, die aus den Tischdecken gefertigt sind,
im Gegensatz zu jenen Neutralen aus Nesselstoff mit einer weiteren
Bedeutungsebene aufgeladen. Mit der heimischen Idylle, mit der guten
alten Zeit und ebenjenen Schattenseiten, die ebenso dazu gehörten.
Dabei lenken die Muster und Farben der ehemaligen Tischdecken die Assoziation des Betrachters. Die gestickten Tannenzweige etwa, die sich fast wie eine Bordüre am inneren Rand der genähten Schubkarre aneinander reihen, erinnern mit der Form im Innern an einen Sarg,
die bunten Blumen auf dem „Eimer“ lassen an duftig frisch geputzte
und mit Blumen geschmückte Räume denken. Was dem einen Erinnerungen
an leuchtende Augen und an vergangene schöne Feste im Kreise der Familie sind, sind dem anderen vielleicht schreckliche Gedanken an
unbequeme Sonntagskleider, steifes Sitzen und Langeweile, oder an schwere Zeiten in Armut, Kälte und mit harter Arbeit. Hier wird der Betrachter eingeladen, seine Gedanken zum Thema selbst zu formulieren.
Elisabeth Busch-Holitschke zerschneidet diese Symbole häuslicher Integrität für ihre Kunstwerke und stellt damit die bürgerliche Idylle in Frage. Das, was unseren Großmüttern und Müttern noch als
Wichtiger Teil der Aussteuer galt, hat heute vielfach seinen Wert verloren. Das Leben ist Wandel. Dinge die einst wichtig und wertvoll waren, werden jetzt durch andere ersetzt.
Stoffe Schnittmuster und Füllwatte sind der Künstlerin aus Kindertagen wohl bekannt. Mit einer Schneiderin als Mutter und in der Polsterei des Vaters, die ihr oft als Spielplatz diente, aufgewachsen, sind Materialien und Arbeitsprozesse ihr seit langem vertraut. Und auch in ihrem eigenen künstlerischen Werk sind die textilen Arbeiten ein einsichtiger Schritt. Neben ihren Arbeiten in Ton, die während des Entstehungsprozesses ja ebenfalls dreidimensional, weich und formbar waren, begann sie mit der Goldtafel eine erste Annäherung an verfremdete Alltagsgegenstände in Verbindung mit Stoffen. Es folgten die genähten Stühle und die großen genähten Porträts, wo bereits das Thema der lang herabfallenden Endfäden zu finden ist. Immer wieder wird daneben die Natur Teil ihrer Werke. So verarbeitete sie etwa Gras und Stroh in ihren Tonarbeiten oder sie setzte sich mit dem Thema Wege in der Landschaft auseinander.
Mit den neuen Arbeiten hat Elisabeth Busch-Holitschke sich einmal mehr positioniert ohne in Widerspruch zu den früheren Werken zu treten. Es ist vielmehr die folgerichtige Entwicklung einer Künstlerin, die sich mit der Vielschichtigkeit der alltäglichen Dinge mehrdimensional auseinandersetzt.

Dr. Dagmar Täube
Kunsthistorikerin

Kuchenschaufeln
genäht aus alten, gebrauchten und zum Teil bestickten Tischdecken
2016

Genähte Objekte
die Gegenstände sind weich, aus Stoff genäht und mit Füllwatte gestopft. Die Fäden hängen an den Nahtenden lang herab, der Füllstoff quillt aus den Nähten. Der Entstehungsprozess wird nicht verschwiegen. Handgestickte Tischdecken und weiße Leinentischtücher, solche die den älteren noch als Sonntagstischde - cken und der Aussteuer zugehörig vertraut sind, wurden verarbeitet. Tischdecken, an denen man sich ordentlich zu benehmen hatte, die aber den Mahlzeiten einen besonderen Wert verliehen.

Was unseren Müttern und Großmüttern noch als wichtiger Teil der Aussteuer galt, hat heute seinen Wert verloren. Das Leben ist Wandel, Dinge die einst wichtig waren, werden heute durch andere ersetzt

Dr. Dagmar Täube
Kunsthistorikerin

Drahtkleid, Schuhe und Kokons

Ein Drahtkleid, ein paar Schuhe, Kokons in verschiedenen Größen, gehäkelt aus Silberdraht.

Das Drahtkleid mit den Schuhen und die unterschiedlich großen Kokons sind vor der weißen Wand kaum wahrzunehmen.

Ein Hauch von nichts, ein brüchiger Kokon. Eine Hülle aus dünnem Gespinst.

Auf der einen Seite wird die Vergänglichkeit durch die stehen gelassenen Drähte und die vermeintliche Fragili - tät des fast unsichtbaren deutlich. Andererseits beinhaltet sie auch die positive Veränderung/Entwicklung und die Loslösung aus bereits überwundenem.